Wer entgegen den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung den Sicherheitsgurt nicht anlegt, den trifft grundsätzlich ein Mitverschulden. Bei schweren Frontalkollisionen mit hohen Geschwindigkeiten ist die Ursächlichkeit der erlittenen Unfallverletzungen jedoch nicht zu vermuten, wenn der Verletzte den Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte, sondern in den Airbag geprallt ist. In einem solchen Fall muss der Schädiger beweisen, dass dieselben Verletzungen bei Anlegen des Sicherheitsgurts nicht eingetreten wären.
Diese Entscheidung traf das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg, das über die Folgen eines Verkehrsunfalls zu urteilen hatte. Aus Gründen, die der beklagte Fahrer allein verschuldet hat, kollidierte dessen Fahrzeug frontal mit dem entgegenkommenden Pkw des Klägers. Im Schmerzensgeldprozess verteidigte sich der Beklagte damit, der Kläger müsse sich wegen des – unstreitigen – Nichtanlegens des Gurts ein Mitverschulden von 30 Prozent anrechnen lassen. Dieselben Verletzungen wären auch eingetreten, wenn er angeschnallt gewesen sei, so der Kläger.
Die Richter haben auf volle Haftung des Beklagten erkannt. Selbst wenn den Kläger ein Mitverschulden wegen Nichtanlegens des Gurts träfe, müsse dies angesichts des groben Verschuldens des Beklagten (Fahren auf der Gegenfahrbahn mit hoher Geschwindigkeit bei Nässe und Dunkelheit) völlig zurücktreten. Beurteile man dies anders, sei der Kläger gleichwohl von einer Mithaftung freigestellt. Denn der Beklagte hätte nicht bewiesen, dass zwischen dem Nichttragen des Gurts und den Unfallverletzungen der erforderliche Ursachenzusammenhang bestehe. Zwar gebe es insoweit einen Anscheinsbeweis. Bei schweren Frontalkollisionen mit hohen Geschwindigkeiten bestehe er jedoch nicht. Deshalb müsste der Beklagte beweisen, dass dieselben Verletzungen bei Anlegen des Gurts nicht eingetreten wären. Das sei ihm nicht gelungen (OLG Naumburg, 6 U 71/07).