Wird ein Erbscheinsantrag auf ein Testament gestützt, das ersichtlich unvollständig ist, da aus der Urkunde ein Teil des Texts herausgeschnitten wurde, ist zu prüfen, ob sich der fehlende Teil rekonstruieren lässt. Der fehlende Textbestandteil ist nur unerheblich, wenn sich feststellen lässt, dass der Teil vom Erblasser oder auf dessen Veranlassung ausgeschnitten wurde. Nur dann ist regelmäßig von einem teilweisen Widerruf auszugehen.
Diese Entscheidung traf das Oberlandesgericht (OLG) Hamm im Fall zweier Geschwister. Diese hatten nach dem Tod ihrer Tante bei Gericht einen Erbschein beantragt, der sie jeweils zur Hälfte als Erben ausweisen sollte. Dazu hatten sie ein handschriftliches Testament der Tante vorgelegt. Dieses war jedoch teilweise unvollständig. Im Umfang von etwas mehr als einer Zeile war ein Teil des Blatts herausgeschnitten.
Das OLG wies den Erbscheinsantrag ab. Zwar liege ein formwirksames Testament vor. Die Richter hielten es jedoch für zweifelhaft, dass die beiden Geschwister zu alleinigen Erben eingesetzt wurden. Wegen der Ausschneidung sei es nämlich unklar, ob der Text des Testaments in seinem jetzigen Zustand den tatsächlichen Willen der Tante vollständig und zutreffend wiedergebe. So sei es möglich, dass der ausgeschnittene Teil die Erbenstellung der Geschwister eingeschränkt oder einen weiteren Erben enthalten habe. Auch sei unklar, wer den Text ausgeschnitten habe. Diese Zweifel seien nur irrelevant, wenn nachweislich der Erblasser oder eine vom ihm beauftragte Person die Ausschneidung vorgenommen habe. Dies hätten die beiden Geschwister aber nicht nachweisen können (OLG Hamm, 15 W 331/06).