Der Bußgeldtatbestand der Straßenverkehrsordnung, nach dem ein Fahren mit Sommerreifen bei winterlichen Wetterverhältnissen mit einem Bußgeld zu versehen ist, ist verfassungswidrig.
Diese Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg betraf einen Autofahrer, der im November mit Sommerreifen unterwegs war. Beim Überfahren einer Eisfläche kam sein Fahrzeug ins Rutschen und schlitterte in das Schaufenster eines Geschäfts. Das Amtsgericht verurteilte ihn zu einer Geldbuße von 85 EUR. Er sei mit nicht angepasster Geschwindigkeit und einer nicht den Wetterverhältnissen angepassten Bereifung gefahren. Da sich Eis auf der Straße befunden habe, hätte er mit Winterreifen fahren müssen. Der betroffene Autofahrer vertrat die Auffassung, der Unfall hätte sich auch mit Winterreifen ereignen können und legte Beschwerde vor dem OLG ein. Das OLG entschied, dass der entsprechende Ordnungswidrigkeitentatbestand in der Straßenverkehrsordnung über die Pflicht zu einer den Wetterverhältnissen angepassten Bereifung in seiner konkreten Ausgestaltung verfassungswidrig sei. Es liege ein Verstoß gegen das verfassungsmäßig gebotene Bestimmtheitsgebot vor. Der Gesetzgeber müsse die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit bzw. eine Ordnungswidrigkeit so konkret umschreiben, dass der Anwendungsbereich für den Einzelnen erkennbar sei oder sich durch Auslegung ermitteln lasse. Dies sei bei der betroffenen Vorschrift jedoch nicht der Fall. Weder gesetzlichen noch technischen Vorschriften sei zu entnehmen, welche Eigenschaften Reifen für bestimmte Wetterverhältnisse haben müssen. Das gelte auch für Winterreifen. Der Gesetzgeber habe gerade keine generelle Winterreifenpflicht für die Wintermonate geregelt. Ungeklärt sei insbesondere, ob auch Sommerreifen für winterliche Witterungsverhältnisse im Sinne der Vorschrift geeignet sein können. Sogenannte Sommerreifen würden von vornherein kaum auf Schnee- und Glättetauglichkeit geprüft. Bei einem Winterreifentest im Jahr 2005 seien nur zwei Sommerreifen getestet worden, die sich beim Fahren auf Eis sogar als geeignet erwiesen hätten. Für den Bürger sei daher nicht eindeutig erkennbar, welche Reifen als „ungeeignete Bereifung bei winterlichen Wetterverhältnissen“ anzusehen seien. Diese Unklarheit hätte der Gesetzgeber durch eine klare Anordnung vermeiden können. Denkbar sei beispielsweise eine klare Anordnung von Winterreifen bei „Wetterverhältnissen, bei denen Eis und/oder Schnee möglich sind“ (OLG Oldenburg, 2 SsRs 220/09).
Hinweis: Durch diese Entscheidung wird nicht in Frage gestellt, dass bei winterlichen Temperaturen, insbesondere aber bei Schnee und Eis, M+S Reifen oder Reifen mit Schneeflockensymbol benutzt werden sollten, um Unfälle möglichst zu vermeiden. Wer sich anders verhält, riskiert nicht nur haftungs- und versicherungsrechtliche Nachteile, ihm droht darüber hinaus – vor allem, wenn andere bei einem Verkehrsunfall verletzt werden – weiter die Verfolgung wegen einer Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit. Das Fahren mit Sommerreifen im Winter, das zu keiner konkreten Verkehrsgefährdung führt, bleibt aber sanktionslos.